Zwischen unseren täglichen Aufgaben und Terminen sowie am Feierabend entstehen Räume – kleine Momente, in denen nichts zu tun ist. Oft greifen wir genau dann zu etwas, das uns beschäftigt oder belohnt: zu etwas zu essen, zur Zigarette, zum Handy, zum Glas Wein… Für einen Augenblick fühlen wir Freude, Entspannung, vielleicht auch Hingabe.
Genuss ist ein Geschenk des Lebens. Doch manchmal kann sich die Qualität verändern. Aus einem freien „Ich will“ wird ein unbewusstes „Ich brauche“. Ein Muster schleicht sich ein – erst kaum spürbar, dann immer deutlicher. Und irgendwann dürfen wir uns die Frage stellen: Genieße ich noch – oder verliere ich gerade ein Stück meiner Freiheit?
Dieser Beitrag lädt dazu ein, achtsam in uns hineinzuspüren: Welche Rolle spielen diese kleinen Fluchten in unserem Leben? Wo schenken sie uns Kraft und Freude – und wo nehmen sie uns Energie? Es geht hier nicht um Verzicht oder Verurteilung, sondern um Bewusstsein, Freiheit und die liebevolle Rückkehr zu uns selbst.
Die feinen Nuancen im Alltag
Genuss fühlt sich wundervoll an, bewusst gewählt und voller Freude. Er bereichert den Moment und ist genauso leicht wieder loszulassen.
Gewohnheit hingegen läuft etwas stiller ab. Wir wiederholen ein Verhalten automatisch, oft zu festen Zeiten oder in bestimmten Situationen. Es gehört einfach dazu, ohne dass wir groß darüber nachdenken, ein Ritual, das uns vertraut ist, aber oft schon unbewusst abläuft. Es sind scheinbar kleine Handlungen, die sich in unseren Alltag einschleichen. Mal schenken sie uns Freude, mal lenken sie uns ab und mal füllen sie eine Leere, die wir vielleicht gar nicht genauer benennen können.
Abhängigkeit schließlich beginnt dort, wo wir nicht mehr frei sind. Wenn das „Ich will“ zu einem „Ich muss“ geworden ist. Wenn Unruhe, Leere oder Gereiztheit entstehen, sobald wir verzichten. Und wenn wir merken, dass nicht mehr wir entscheiden, sondern das Verlangen stärker wird als unser freier Wille.
Beim Wort Abhängigkeit denken viele an extreme Bilder: Menschen, die stark abhängig sind oder deren Leben völlig aus der Bahn geraten ist. Doch Abhängigkeit / Sucht zeigt sich oft viel stiller. Sie entsteht im Alltag, aus genau diesen kleinen Gewohnheiten und vertrauten Mustern. Etwas, das zunächst Freude schenkt, kann sich allmählich in ein Bedürfnis verwandeln, dem wir regelmäßig folgen. Der Übergang ist fließend – vom bewussten Genuss hin zu einem Automatismus, der uns lenkt.
Gerade diese leisen Formen betreffen viele Menschen. Sucht ist kein Randthema, sondern ein Teil unserer Gesellschaft, ein Spiegel dafür, wie wir mit innerem Druck, Sehnsucht oder Leere umgehen. Und je früher wir hinschauen, desto größer wird die Chance, pure Freiheit und Klarheit zurückzugewinnen.
Und genau hier ruft uns eine Einladung zur Achtsamkeit: Leben wir diese Gewohnheit – dieses Muster –, weil wir uns bewusst dafür entscheiden? Oder weil es vielleicht angenehmer für uns ist, als den Raum der Stille zuzulassen?
Gesellschaftliche Normalität
Viele unserer Gewohnheiten sind so tief in unserer Kultur verankert, dass wir sie kaum hinterfragen. Alkohol gilt als selbstverständlicher Begleiter bei Festen, beim Abendessen, beim Anstoßen. Süßigkeiten gehören zum Feiern ebenso wie zum Trost. Und auch das Handy in der Hand ist längst zum normalen Bild geworden – ob wir nun warten, uns langweilen oder einfach einen kurzen Kontakt zu Freunden suchen.
Gerade weil all das so alltäglich ist, nehmen wir die feinen Übergänge kaum wahr. Wir sagen uns: „Es gehört doch einfach dazu.“ Und genau darin liegt die Gefahr. Denn das, was gesellschaftlich akzeptiert ist, erscheint uns harmlos – selbst wenn wir innerlich vielleicht schon spüren, dass es uns Energie und vielleicht sogar Lebensfreude raubt.
Die Folgen von regelmäßigem Konsum
Wenn wir regelmäßig zu etwas greifen, das uns betäubt oder ablenkt, kann dies Spuren hinterlassen – nicht nur in unserem Körper, sondern auch in unserem Geist, in unserer Seele und in unserem äußeren Leben.
Körperlich
Es können Energielosigkeit, Verdauungsstörungen, erhöhte Anfälligkeit für Entzündungen oder langfristige Organschäden entstehen. Der Körper trägt die Last dessen, was wir ihm regelmäßig zuführen, und macht sie irgendwann durch klare Signale sichtbar – etwa durch Schmerzen, Erschöpfung oder ein Nachlassen der Vitalität.
Mental und Nervensystem
Regelmäßiger Konsum kann unsere innere Balance verändern. Wir werden unruhiger, gereizter oder abhängiger von äußeren Reizen. Konzentrationsschwierigkeiten und eine ständige innere Getriebenheit sind mögliche Zeichen dafür, dass nicht mehr wir die Wahl treffen, sondern das Verlangen deutlich stärker geworden ist.
Auch das Nervensystem reagiert sensibel: Es kann in einen dauerhaften Spannungszustand geraten – zwischen Anspannung und Erschöpfung. Das natürliche Wechselspiel von Aktivierung und Entspannung verliert an Leichtigkeit. Die Folge können innere Unruhe, Nervosität oder das Gefühl sein, ständig „unter Strom“ zu stehen. Mit der Zeit verliert das Nervensystem seine Elastizität und sucht immer häufiger nach Unterstützung im Außen.
Spirituell
Nach und nach kann die Verbindung zu unserer inneren Stimme schwächer werden. Der Rausch im Außen überdeckt die feine Wahrnehmung im Innen. Wir fühlen uns getrennt von unserer eigenen Wahrheit, von unserem Herzen, von der Quelle, die uns trägt.
Beziehungen
Nähe kann zerbrechen, Vertrauen verloren gehen. Freunde und Familie können sich hilflos fühlen oder sich zurückziehen. Menschen können sich abwenden, weil sie das Muster nicht mehr ertragen.
Beruf
Konzentrationsverlust, Unzuverlässigkeit oder Leistungseinbrüche können Projekte, Arbeitsplätze und sogar die Freude an der eigenen Aufgabe gefährden.
Finanzen
Regelmäßiger Konsum kann teuer werden und die finanzielle Stabilität ins Wanken bringen. Alkohol, Drogen, aber auch Shopping-, Glücksspiel- oder Esssucht können Schulden und sogar Existenzangst nach sich ziehen.
Zeit und Lebensqualität
Stunden, Tage, manchmal Jahre können verrinnen. Kostbare Lebenszeit, die eigentlich Begegnung, Lebensfreude, Kreativität und Entwicklung dienen könnte, kann ungenutzt verstreichen.
Selbstbild
Scham und Heimlichkeit können das innere Erleben belasten und auch das Vertrauen anderer erschüttern.
Selbstreflexion: Ehrlich hinschauen
Veränderung beginnt immer mit Bewusstsein. Solange wir unbewusst handeln, wiederholen wir automatisch, was uns vertraut ist. Erst wenn wir uns selbst liebevoll fragen, warum und wann wir etwas konsumieren und was wir wirklich suchen, entsteht Klarheit.
Hilfreiche Fragen zur Selbstreflexion:
Diese ehrliche Innenschau verlangt Mut und Offenheit mit sich selbst. Denn wir begegnen nicht nur unserem Verhalten, sondern vielleicht auch Gefühlen, die darunter verborgen liegen wie zum Beispiel Einsamkeit, Stress, Unsicherheit oder die Angst vor Stille. Doch gerade diese Begegnung ist der Schlüssel. Sie kann uns dorthin zurückführen, wo wahre Unabhängigkeit entsteht.
Selbstmitgefühl – der erste Schritt zur Heilung
Oft ist das Schwierigste nicht das Loslassen selbst, sondern der Blick auf uns. Viele Menschen, die in einer Sucht oder in einem Muster gefangen sind, verurteilen sich. Sie schämen sich, fühlen sich schwach oder fehlerhaft. Doch genau hier beginnt die Heilung: in der Freundlichkeit zu sich selbst.
Es ist zutiefst menschlich, Halt im Außen zu suchen und es kann jedem von uns passieren, sich selbst aus den Augen zu verlieren. Wohl jeder Mensch hatte wohl auch schon Momente, in denen er sich Ablenkung oder sogar Betäubung gewünscht hat. Sich dafür zu verurteilen, verschließt das Herz. Selbstmitgefühl hingegen öffnet es.
Selbstmitgefühl bedeutet, sich selbst beispielsweise zu sagen:
Wer sich selbst mit Liebe begegnet, legt den Grundstein für Veränderung. Denn nur in einem offenen Herzen wächst die Kraft, einen gewohnten Weg zu verlassen und einen neuen zu beschreiten.
Wege in die Balance
Sobald wir beginnen, bewusst hinzuschauen, öffnen sich neue Möglichkeiten. Es geht darum, nach und nach unsere Unabhängigkeit wieder zurückzugewinnen und unser Leben so zu gestalten, dass es uns wirklich nährt. Jeder kleine Schritt in diese Richtung ist wertvoll.
Wenn wir innehalten, bevor wir automatisch zum Gewohnten greifen, entsteht ein kleiner, heiliger Moment der Wahl. Ein bewusster Atemzug, ein kurzer Augenblick der Stille – und wir können spüren, ob wir gerade wirklich genießen möchten oder nur aus Gewohnheit oder innerem Druck handeln. Diese Pause allein kann einen enorm großen Unterschied machen.
Selbstfürsorge und Selbstliebe bilden das Fundament. Wenn wir lernen, uns selbst die Aufmerksamkeit und Zuwendung zu geben, die wir sonst im Außen suchen, verändert sich unser inneres Erleben. Wir beginnen, uns selbst wieder als Quelle von Geborgenheit, Kraft und Lebensfreude zu erfahren. Aus dieser Verbindung heraus kann es uns leichter gelingen, auf Dinge zu verzichten, die uns schaden.
Eine hilfreiche Praxis ist, die eigenen Gedanken bewusst zu beleuchten. In Momenten des Verlangens dürfen wir uns fragen:
Allein diese innere Klarheit bringt Distanz zum automatischen Impuls. Gleichzeitig kann es stärkend sein, einen inneren Anker zu haben, zum Beispiel eine positive Affirmation, die uns in „schwachen" Momenten an unser neues Ziel erinnert.
Positive Affirmationen können ein wertvoller Wegbegleiter sein, denn Worte haben eine große Kraft. Wenn wir uns immer wieder liebevoll bestärken, beginnen wir, unser inneres Programm neu auszurichten. Was wir regelmäßig im Inneren nähren, zeigt sich mit der Zeit und genügend Wiederholungen auch im Außen.
Positive Affirmationen können zum Beispiel sein:
Unterstützung annehmen
Manchmal reicht unsere eigene Energie aus, um neue Wege zu gehen. Doch manchmal brauchen wir Begleitung – eine helfende Hand, die uns stützt, wenn wir schwanken. Unterstützung anzunehmen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern reine Selbstliebe. Es bedeutet, dass wir uns selbst so wertschätzen, dass wir gut für unsere Heilung sorgen.
Geführte Meditationen und Hypnosen können uns dabei helfen, in unsere innere Welt einzutauchen und das Außen für einen Moment still werden zu lassen. Wichtig ist, dass diese von seriösen Anbietern stammen, die verantwortungsvoll mit dieser Arbeit umgehen. Denn gerade in diesem sensiblen Bereich braucht es Sanftheit, Klarheit und einen geschützten Rahmen.
Meine Meditationen und Hypnosen sind so gestaltet, dass du dich jederzeit sicher und geborgen fühlst. Du kannst sie wach und bewusst erleben oder dich sanft von
meiner Stimme in den Schlaf tragen lassen. In beiden Fällen bleibst du in deinem geschützten Raum, während meine Worte dich liebevoll begleiten.
Hier findest du meine 3-teilige Serie zum Thema "Süchte loslassen":
Gespräche und Austausch mit anderen können uns ebenfalls stärken. Oft erkennen wir uns selbst in den Geschichten anderer wieder und spüren, dass wir mit unseren Themen nicht allein sind. Verbundenheit schafft Heilung.
Professionelle Hilfe – sei es durch Therapie, Coaching oder Selbsthilfegruppen – kann wertvoll sein, wenn wir merken, dass wir aus eigener Kraft
nicht weiterkommen. Wenn du das Gefühl hast, Unterstützung zu brauchen, findest du Hilfe und Ansprechpartner in
Deutschland z. B. über die Telefonseelsorge (0800 111 0 111), in Österreich über die Telefonseelsorge (142) oder in der Schweiz über „Die Dargebotene Hand“ (143).
Speziell zum Thema Alkohol möchte ich dir diese Website empfehlen: https://oamn.jetzt/
Nathalies YouTube-Kanal: www.youtube.com/@nathalie.stueben
Niemand muss den Weg in ein suchtfreies Leben allein gehen. Hilfe anzunehmen ist Selbstfürsorge und oft der entscheidende Schritt, der in die Freiheit
führt.
Loslassen schenkt Freiheit – neuen Sinn im Leben finden
Loslassen bedeutet immer auch Veränderung. Manchmal verabschieden sich Menschen, die zum alten Muster gehörten. Manchmal zerfallen Rituale, die bisher Halt gaben. Es kann schmerzen, wenn etwas wegfällt, das uns lange begleitet hat.
Doch jeder Abschied trägt auch den Samen eines Neuanfangs in sich – einen Samen, aus dem etwas Wundervolles entstehen kann. Wir werden vom Leben eingeladen, unser Herz zu öffnen, um Fülle in einer neuen Klarheit und Tiefe zu erleben.
Schritt für Schritt darf sich dieser neue Raum mit Sinn füllen: durch Begegnungen, die guttun, durch Tätigkeiten, die nähren, durch Momente, die uns an unsere eigene Kraft erinnern.
Wie du neuen Sinn entdecken kannst
Fragen an deine Seele stellen
Neue Rituale schaffen
Wenn alte Muster anklopfen und der Drang nach Betäubung oder Ablenkung spürbar wird, können wir bewusst neue Wege wählen. Rituale sind dabei wie kleine Anker, die uns sanft auf unserem neu gewählten Weg halten. Sie schenken Sicherheit, innere Stärke und beruhigen unser Nervensystem.
Mögliche Rituale können sein:
Wichtig ist nicht, welches Ritual du wählst, sondern dass es dich zurückbringt – in die Gegenwart, in deinen Körper, in dein Herz.
Das Leben neu lieben lernen durch Achtsamkeit im Alltag
Sinn entfaltet sich in den kleinen Momenten: im ersten Licht des Sonnenaufgangs, im Duft einer Tasse Kaffee, im Lächeln eines Menschen, in einem bewussten Atemzug.
Achtsamkeit bedeutet, diese Augenblicke mit unserer ganzen Aufmerksamkeit und mit allen Sinnen wahrzunehmen. Es ist wie ein vertrautes Lied, das uns an unsere
eigene Lebendigkeit erinnert.
Jeder Moment trägt die Botschaft: Ich bin hier. Ich bin lebendig. Ich bin verbunden.
Indem wir unsere Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt lenken, entsteht Klarheit. Dankbarkeit für den Moment erfüllt uns und macht sichtbar, wie reich unser Leben ist. Ein Vogelruf, das Rauschen der Blätter, ein tiefer Atemzug... sie alle sind Geschenke, die uns an die Schönheit des Augenblicks und des Lebens erinnern.
So wird Achtsamkeit zu einem stillen, kraftvollen Weg, das Leben neu zu lieben. Sie schenkt uns die Erfahrung, dass Erfüllung überall wachsen kann – mitten im Alltag.
Sinn ist nichts, das wir im Außen suchen müssen. Er offenbart sich, wenn wir still genug werden, um ihn zu hören. Das Leben selbst ist Sinn – und alles, was wir tun, um mehr in Verbindung zu kommen, lässt diesen Sinn spürbar werden.
Zum Abschluss möchte ich gerne ein Zitat eines lieben Herzensmenschen mit dir teilen, das mich tief berührt hat:
„Wenn es nicht mit und nicht ohne geht, dann ist schlussendlich nur ohne der Weg."
Ich wünsche dir von Herzen nur das Allerbeste.
Namaste.
Deine Anika
Anika Henkelmann, 21. August 2025